Eigentlich wissen wir es alle, wir haben es schon unzählige Male gehört: Kauen ist wichtig. Richtiges Kauen ist für eine gute Verdauung unerlässlich. Umso erstaunlicher ist es, dass die überwiegende Mehrheit von uns dieses Wissen einfach ignoriert und ihre Mahlzeiten ohne viel Beachtung in sich hinein schlingt.

Diesem offensichtlichen Widerspruch möchte ich auf den Grund gehen und dafür spreche ich in diesem Interview mit einer echten Kau-Expertin. Du erfährst nicht nur, wie wichtig das richtige Kauen ist und wie viele Bereiche unserer Darmgesundheit - u.a. auch unser Stuhlgang - vom Kauen beeinflusst werden, sondern bekommst auch gute Tipps, wie du das richtige Kauen wieder in deinen Alltag integrieren kannst. Und das alles mit viel Spaß und Genuss.

Daniel Kövary (Gründer stuul):

Liebe Barbara, es freut mich sehr, dass gerade Du mein erster Interviewpartner in unserem neuen Blog bist. Wir wollen in diesem Blog ja die Darmgesundheit aus allen möglichen Blickwinkeln erkunden und wo könnte man damit besser anfangen als ganz am Anfang unseres Verdauungssystems - dem Mund, bzw. dem richtigen Kauen. Stelle Dich doch kurz unseren Lesern vor. Wie wird man Kauexpertin?

Barbara Plaschka (Abnehmcoach, Kautrainerin und Gründerin von kauGENAU):

Die Freude ist ganz auf meiner Seite. Danke, lieber Daniel, dass ich eure Leser mit auf eine genussvolle Reise nehmen darf. Wie ich aufs Kauen kam? Das weiß ich noch sehr gut. Leider hat es eine unschöne Vorgeschichte - aber wie so oft gibt es immer zwei Seiten. Deshalb bin ich heute sehr dankbar, dass es so gekommen ist.

Ich hatte einen schweren Bandscheibenvorfall, wodurch mein linkes Bein zu 30% gelähmt war. Zum Glück hatte ich schnell den richtigen Operateur zur Hand und nach der OP waren die Schmerzen auch weg. Aber das Bein war noch nicht wieder geheilt. „Das braucht Zeit, bis sich die Nerven wieder regenerieren.“ haben mir die Ärzte gesagt. Jetzt muss man wissen, dass Geduld nicht unbedingt meine größte Stärke ist. Also habe ich mich auf die Suche gemacht, was ich in Sachen Ernährung tun kann. Logisch, schließlich bin ich Ernährungswissenschaftlerin. Für gesunde Nerven braucht man ausreichend B-Vitamine. Also habe ich mein Frühstück mit allerlei Körnern und Samen aufgepeppt.

Eines Tages war meine kleine Tochter mit mir auf dem stillen Örtchen - wer kleine Kinder hat, weiß, dass man da oft nicht allein ist - und sie war sehr interessiert an meinem „Geschäft“. „Mama, die Sonnenblumenkerne sind alle noch ganz drin!“, rief sie. Und ja, sie hatte Recht.

Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich muss alles besser kauen, wenn die wertvollen Inhaltsstoffe auch wirklich an meine Nerven gelangen sollen. Im Darm entscheidet sich, was in unseren Körper gelangt und was nicht. Bei den Sonnenblumenkernen hätte ich sie auch einfach die Toilette runterspülen können.

Von diesem Moment an hat kein Bissen mehr meinen Mund verlassen, der nicht richtig, richtig gut gekaut war. Ich habe gemerkt, wie viel besser man schmecken kann und dass ich auch viel schneller satt werde. Das habe ich natürlich gleich in meine Beratungen einfließen lassen und seitdem geht es bei mir nicht mehr darum, WAS wir essen, sondern WIE wir essen. Und mein Bein ist übrigens auch wieder völlig geheilt.

Barbara Plaschke Kautrainerin

Daniel: Das freut mich sehr! Macht ja auch Sinn: Je besser die Nahrung schon im Mund aufbereitet bzw. zerkleinert wird, umso einfacher ist es für den Darm, die für uns wichtigen Bestandteile zu erschließen und für den Heilungsprozess bereit zu stellen.

Was mich aber fast noch mehr fasziniert, ist die Tatsache, dass die meisten von uns dem Kauen gar keine Aufmerksamkeit mehr schenken. Und das, obwohl hier so viel Potential für unser Wohlbefinden drin steckt. Wie erklärst Du Dir als Diplom-Biologin und medizinisch geprüfte Ernährungsberaterin diese Entwicklung?

Barbara: Ja, das ist wirklich spannend zu beobachten. Aber die Erklärung ist ganz einfach. Es liegt am Schluckreflex. Wie der Name schon sagt, ist es ein Reflex. Und Reflexe laufen - einmal angetriggert - völlig automatisch ab. Ich will ihm aber auf keinen Fall die Schuld in die Schuhe schieben. Denn ohne den Schluckreflex wären wir nicht groß und stark geworden. Als Säuglinge sind wir darauf angewiesen, dass wir die kostbare Muttermilch schnell runterschlucken, bevor sie uns wieder aus dem Mund laufen kann. Das Schlucken lernen wir also viel früher als das Kauen, denn die Zähne kommen ja viel später erst ins Spiel. Kleinkinder können das Genießen mit allen Sinnen noch sehr gut. Leider fehlt oft die Zeit, die Kinder in ihrem eigenen Esstempo zu lassen. Morgens muss man es pünktlich in die Kita schaffen und abends gibt es meist auch noch Programm, so dass wir von unseren Eltern und Erziehern zum schnellen Essen animiert wurden. Und die Lebensmittelindustrie hat hier auch noch einen entscheidenden Einfluss. Viele Produkte sind genau so konzipiert, dass sie in den ersten fünf oder sechs Kaubewegungen richtig toll knacken und lecker schmecken. Dann ist das Hochgefühl vorbei, wir schlucken schnell runter, damit wir die nächste Ladung knackiger Freude erleben dürfen. Das freut die Lebensmittelindustrie, weil wir dadurch natürlich viel mehr essen.

Daniel: Dass die Lebensmittelindustrie den Schluckreflex genau kennt und für ihre Zwecke ausnutzt, überrascht mich nicht. Es würde sich also auch für uns lohnen, den Schluckreflex etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Wie kann ich lernen, ihn besser zu kontrollieren?

Barbara: Wie so oft hilft uns auch hier die Achtsamkeit. Einen Reflex können wir nicht abstellen. Sollen wir auch gar nicht. Aber wir können viel dafür tun, dass er nicht mehr alleine das Sagen hat. Hier ist Teamwork gefragt. Die Zunge, der Gaumen und der Schluckreflex sollen besser zusammenarbeiten. Denn zwischen dem Abbeißen und dem Schlucken liegt der wichtige Teil: Das Kauen und das Schmecken. Ein Fest für den Geschmackssinn. Der Schluckreflex kann jederzeit kommen. Dann ist es wichtig, dass die Zunge aufpasst, womit sie ihn befriedigt. Alles Flüssige und Breiige darf gerne geschluckt werden, alles Grobe und Große soll noch weiter gekaut werden.

Daniel: Das zeigt mir einmal mehr, wie weit wir uns von unserer eigentlichen Natur entfernt haben und welche weitreichenden Folgen das für unsere Gesundheit hat. Vor nicht allzu langer Zeit haben die Menschen dem Essen und dem Vorgang der Nahrungsaufnahme wahrscheinlich ohnehin noch viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Einfach, weil es etwas Besonderes am Tag war. Die Arbeit war noch viel körperlicher und schon deshalb genoss man wahrscheinlich jeden Bissen und freute sich über die Energie, die man damit bekam. Und dann gab es noch den sozialen Aspekt des gemeinsamen Essens. Die Familie traf sich zu festen Zeiten zum Essen, was den Zusammenhalt sehr förderte. Heute essen wir oft alleine und schauen dabei in den Fernseher oder aufs Handy. Wir leben in einer Aufmerksamkeitsökonomie, in der Unternehmen um unsere Aufmerksamkeit buhlen. Für uns selbst bleibt da oft nichts mehr übrig. Schon gar nicht für achtsames Essen. Deshalb ist es so wichtig, das Essen wieder in den Mittelpunkt zu rücken. Selber kochen, gemeinsam mit Familie und Freunden essen und - ganz wichtig - lange kauen.

Aber zurück zum Thema: Welche Rolle spielt der Speichel und was passiert dann mit dem Nahrungsbrei? Nimm uns mal mit auf die Reise.

Barbara: Oh, der Speichel. Für mich ist er ein wahrer Zaubersaft. Er besteht zwar zu 99 Prozent aus Wasser, aber das restliche eine Prozent hat es in sich.

Der Speichel - ganz klar - hilft uns bei der Verdauung. Er enthält Enzyme, die Kohlenhydratketten spalten. Je länger wir ein Brot kauen, desto süßer wird es, denn aus langen Stärkeketten werden am Ende einzelne Zuckermoleküle. Außerdem enthält der Speichel fettspaltende Enzyme. Davon profitieren vor allem Säuglinge. Denn die Organe für die Fettverdauung sind anfangs noch nicht so fit. Sie brauchen die Hilfe des Speichels. 

Mit dem Speichel beginnt auch die Abwehr von Krankheitserregern. Denn er enthält Enzyme, die Bakterien und Viren unschädlich machen. Als Kind hast du bestimmt auch oft versucht, Spukblasen zu machen. Oder? Ich sage nur: langweilige Autofahrten. Dieser zähflüssige Schleim ist extra dafür gemacht, dass sich Bakterien und Viren darin verfangen. Und natürlich auch, damit wir unseren Bissen leichter schlucken können, ohne die empfindliche Schleimhaut der Speiseröhre zu verletzen.

Der Speichel schützt auch unsere Zähne. Zum einen remineralisiert er unseren Zahnschmelz. Denn die im Speichel enthaltenen Mineralien stärken unseren Zahnschmelz. Zum anderen neutralisiert der Speichel den pH-Wert im Mund, wenn wir säurehaltige Nahrungsmittel zu uns genommen haben. So haben wir einen eingebauten Kariesschutz.

Aber es geht noch weiter. Jetzt kommt das Schöne.

Speichel ist ein Geschmacksverstärker. Erst durch ihn lösen sich die Aromastoffe aus der Nahrung und unser Geschmackssinn kann sie wahrnehmen. Ohne Speichel kein Geschmack.

Und zu guter Letzt. Der Speichel ist ein Sättigungsmittel. Wenn wir gründlich kauen und gut einspeicheln, wird der Bissen viel größer, als wenn wir ihn schnell hinunterschlingen. Das hat einen klaren Vorteil für die Sättigung, denn die Sensoren im Magen werden besser angesprochen, wenn der Brei gleichmäßig verteilt ist und nicht als großer Klumpen schwer im Magen liegt.

Meine Klient:innen, mit denen ich das Kauen trainiere, berichten mir regelmäßig, dass sie schon nach kleineren Portionen satt sind. Plötzlich wird nicht mehr die ganze Pizza verschlungen, sondern die Hälfte bleibt für den nächsten Tag übrig.

Barbara Plaschka Kautrainerin

Daniel: Das kann ich nur bestätigen. Seit ich durch dich für das Thema sensibilisiert wurde und deine Tipps nun wirklich in meinem Alltag beherzige, spüre ich drei große Vorteile: Ich nehme das Essen viel bewusster und intensiver wahr, ich bin viel schneller satt und was ich ganz enorm finde: Meine Verdauung hat sich noch einmal deutlich verbessert, was sich letztendlich auch in einem sehr regelmäßigen und guten Stuhlgang bemerkbar macht. Das hat mich echt überrascht!

Kannst du uns die Reise eines gut vorgekauten Nahrungsbreis durch unseren Verdauungstrakt im Vergleich zu schlecht gekauter Nahrung etwas ausführlicher beschreiben?

Barbara: Oh - das freut mich zu hören, lieber Daniel! Wie schön.

Klar, komm mit auf die Reise. Warum ist ein gut gekauter Bissen so viel besser als ein schlecht gekauter? Die Antwort lautet: Oberfläche. Je besser die Verdauungsenzyme - im Mund, im Magen und im Dünndarm - ihre Arbeit verrichten können, desto besser ist unsere Verdauung. Klar. Ein gut gekauter Bissen bietet eine viel größere Oberfläche als ein hinunter geschlungener. Die Verdauungsenzyme kommen besser an alles heran - schließlich ist die Zeit im Verdauungstrakt begrenzt, denn der Darm transportiert den Speisebrei in gleichmäßigen Bewegungen immer weiter. Die “Ausbeute” wird regelmäßig an das Gehirn gemeldet, was sich auch positiv auf unsere Sättigungssignale auswirkt.

Aus großen Brocken können wir nicht so viel Gutes herausholen. Der Körper bestellt also länger nach, in der Hoffnung, doch noch alles zu bekommen, was er braucht.

Außerdem führen große Brocken zu Fäulnisprozessen, die wiederum den pH-Wert verändern, so dass die Darmflora leidet. Das gilt es zu vermeiden, wenn der Stuhlgang gut funktionieren soll.

Toilet Stool stuul Ocean

 

Daniel: Damit wären wir auch schon am Ende des Verdauungsprozesses angelangt: beim Stuhlgang. Alles, was oben reinkommt, muss den Körper irgendwann wieder verlassen. Doch anders als im Mund, wo die Nahrung möglichst lange verweilen soll, um gründlich gekaut zu werden, darf der Stuhl nicht zu lange im Enddarm bleiben, da Fäulnisgase und andere Gifte über die Darmschleimhaut wieder in den Körper gelangen können. Hier setzen wir mit unserem Toilettenhocker an, um die Darmgesundheit unserer Kunden zu unterstützen. Durch eine verbesserte Körperhaltung beim Stuhlgang sorgen wir dafür, dass dieser leichter, schneller und vollständiger abläuft.

Was hältst du von der Idee, beim Stuhlgang eine hockende Position einzunehmen, und welche Parallelen siehst du zu deiner Mission, das Kauen wieder populärer zu machen?

Barbara : Ganz ehrlich? Ich LIEBE die Hocke. Weißt du, wo ich das zum ersten Mal bemerkt habe? Auf einer alten italienischen Autobahnraststätte. Irgendwann musste ich bei einer solchen Raststätte rechts rausfahren und mich mit dem begnügen, was ich vorfand. Zuerst war ich etwas schockiert, als ich das Plumpsklo sah, aber als ich dann in der Hocke meine Notdurft verrichtete, war es viel angenehmer als erwartet. Leider bin ich jetzt nicht jeden Tag in Italien im Urlaub, aber zum Glück habe ich euren Toilettenhocker. Denn damit habe ich das Urlaubsfeeling auch auf der Toilette. Es ist wirklich so ein Unterschied, ob man sich entspannt und vollständig entleert, oder ob es harte Arbeit ist.

Welche Parallelen ich hier sehe? “Back to the roots” – das trifft es wohl am besten. Wir erinnern oben wie unten an die natürliche Lebensweise, die wir im Laufe der letzten Jahrzehnte leider verlernt haben. Beide Ansätze pflegen einen liebevollen Umgang mit unserem Verdauungstrakt, damit sich der Körper rundherum wieder wohl in seiner Haut fühlen kann. Für mich ist das ein harmonischer Kreislauf. Was oben gut gekaut wurde, kann unten leicht wieder raus. Ein Traum für jeden Darm.

Ich finde jedenfalls, dass wir uns sehr gut ergänzen, auch wenn wir an den entgegengesetzten Enden der Verdauung ansetzen: Die Zeit, die die Leute unten beim Stuhlgang durch euren stuul geschenkt bekommen, können sie oben wieder in einen gut gekauten Bissen investieren.

Barbara Plaschka Toilettenhocker

Daniel: Das sehe ich genauso! Es lohnt sich in so vielen Bereichen, wieder zu einer natürlichen, artgerechten Lebensweise zurückzukehren.

Eine letzte Frage hätte ich noch: Welche drei Tipps würdest du jemandem geben, der sein Kauverhalten ändern möchte, aber zögert, weil er sich das nicht zutraut? Wie kann er es schaffen, ohne gleich sein ganzes Leben auf den Kopf zu stellen?

Barbara: Na klar, sehr gerne. Auf gar keinen Fall muss man hierfür das ganze Leben auf den Kopf stellen. Das empfehle ich für den Start

  1. Beobachte dich erst einmal selbst. Wie schnell schluckst du normalerweise runter? Selbsterkenntnis ist bekanntlich der erste Weg zur Besserung.
  2. Dann braucht es die Lust, etwas ändern zu wollen und dann
  3. ein paar Wochen Ausdauertraining für die Kaumuskulatur. Ich nenne es “Kauausdauertraining”. Es reichen anfangs drei Bissen täglich, ganz unabhängig von deiner Mahlzeit. Der Rest passiert dann von allein.

Du willst wissen, wie das Training funktioniert? Dann schau gerne bei Youtube vorbei. Dort habe ich den “Tuesday is Chewsday” - das ist mein Fitnessstudio für die Kauausdauer. Da können wir gemeinsam trainieren. Ich freue mich auf dich.

Daniel: Vielen Dank für das schöne Interview. Ich habe viel Neues gelernt und es hat mir sehr viel Spaß gemacht! Bis zum nächsten Mal.

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MEHR ÜBER UNSEREN INTERVIEW-PARTNER

Barbara Plaschka

Hi, ich bin Barbara Plaschka, Abnehmcoach, Kautrainerin und Gründerin von kauGENAU. Denn meine Mission ist es, das WIE wir essen wieder ins Bewusstsein der Menschen zu bringen. 

Wer abnehmen möchte, hat vor lauter Spaßverderbern oft kaum noch Lust, das Projekt Wohlfühlgewicht anzugehen. Kalorien zählen, Kohlenhydrate vermeiden, Schokolade weglassen: 

Ich zeige meinen Klientinnen, wie sie weiterhin alles essen dürfen und trotzdem abnehmen. Durch mein genussvolles Kautraining, essen sie achtsamer und sind nach kleineren Portionen angenehm satt.

Mit Freude holen sie die Lieblingsklamotten aus dem Schrank, die wieder locker sitzen und fühlen sich in ihrer Haut endlich wieder wohl - ganz ohne neue Diät!

 
 
Instagram: @barbaraplaschka
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