Warum ein Toilettenhocker mehr als nur ein Accessoire ist, erklärt Beckenbodenexpertin Pia Flake im Gespräch mit unserem Gründer Daniel. Die erfahrene Yogalehrerin beleuchtet die oft übersehene Bedeutung des Beckenbodens für unsere Gesundheit. Von der Schwangerschaft bis zu den Wechseljahren, von Inkontinenz bis zur Sexualität – Pia teilt ihr umfangreiches Wissen über den Beckenboden und gibt wertvolle Tipps für den Alltag. Tauche ein in die faszinierende Welt des Beckenbodens und entdecke, wie du mit einfachen Mitteln deine Lebensqualität verbessern kannst.
Daniel:
Hallo Pia, ich freue mich sehr, dich zu dem so wichtigen, aber leider immer noch zu wenig beachteten Thema „Beckenboden“ interviewen zu dürfen. Doch bevor wir klären, was genau unter dem Begriff Beckenboden zu verstehen ist und welche Bedeutung er für unser Wohlbefinden hat, möchten wir natürlich etwas mehr über Dich erfahren und wie Du eigentlich zu diesem Thema gekommen bist. Stell dich doch unseren Lesern kurz vor.
Pia:
Hallo Daniel, vielen Dank für deine Einladung hier über mein Herzensthema Beckenbodengesundheit zu sprechen.
Kurz zu mir: Ich bin Female Health Guide, Yogalehrerin, Beckenbodentrainerin und Mama von zwei Kindern (geboren 2017 und 2019). Mein Zuhause ist das wunderschöne Kempten im Allgäu. Meine Geburten haben mitunter dazu beigetragen, warum ich mich heute fokussiert mit der Beckenbodengesundheit beschäftige. Angefangen hat jedoch alles in San Francisco, wo ich 2015 meine Yoga Ausbildungen gestartet habe. Obwohl in meiner langjährigen Yogapraxis davor der Beckenboden immer wieder erwähnt wurde (Mula Bandha - der Energieverschluss am Beckenboden wird von den alten Yogis schon lange praktiziert), war dieser Körperbereich bis dato nicht wirklich greifbar.
Erst während eines Beckenboden-Workshops im Rahmen meiner Yoga-Ausbildung wurde mir bewusst, wie entscheidend dieser Bereich für unser Wohlbefinden ist. Damals litt ich unter viel Spannung im Beckenboden, was immer wieder Bauchschmerzen und Verstopfung verursachte. Nach meiner ersten Schwangerschaft lernte ich den Beckenboden aus einer anderen Perspektive kennen: Ein Gefühl von Weite und Kraftlosigkeit trat auf, begleitet von verschiedenen Symptomen.
Da ich beide Seiten der Beckenbodenschwäche selbst erfahren durfte, habe ich mich mehr und mehr mit der Beckenbodengesundheit auseinandergesetzt. Nach weiteren Aus- und Fortbildungen liegt der Schwerpunkt meiner Yogakurse nun auf diesem wichtigen Körperbereich. Ich biete Beckenboden-Yogakurse für Schwangere, zur Rückbildung und für Frauen (bzw. Menschen mit Vagina) an. In den letzten vier Jahren habe ich “Restore Your Roots” - ein ganzheitliches Beckenbodentrainings-Konzept - entwickelt, das aktive und passive Übungen aus dem Yoga, funktionelles Training und Faszientraining sowie viele Impulse für Bewegungsabläufe im Alltag umfasst.
Ganz besonders liegt mir am Herzen, das Thema Beckenboden aus der Tabuzone zu holen. Wenn wir offen darüber sprechen und uns austauschen, können wir besser verstehen, wie wir unser Wohlbefinden gezielt unterstützen können.
Daniel:
Beckenbodentraining und Yoga - das klingt nach einer sehr guten Kombination! Wir haben viel gemeinsam, sowohl was den Körperbereich betrifft, auf den wir uns konzentrieren, als auch die Tatsache, dass wir uns irgendwie in einer Tabuzone zu bewegen scheinen. Aber ich hätte noch zwei ganz grundsätzliche Fragen: Was ist der Beckenboden und wo ist der Beckenboden?
Pia:
Der Beckenboden ist eine mehrschichtige Muskel- und Fasziengruppe, die sich am unteren Ende des Beckens befindet. Dieses Gewebe aus Muskeln und Faszien ist zu den Seiten an den Sitzbeinknochen befestigt, vorne am Schambein und hinten am Steißbein. Ein circa handtellergroßer Bereich, der unser knöchernes Becken nach unten abschließt. Wenn man sich klar macht, wo der Beckenboden ist, wird auch schnell deutlich, dass er ziemlich wichtige Funktionen für unseren Körper hat: Er stabilisiert die umliegenden Gelenke und ist mitverantwortlich für das Tragen und die Lagesicherung der Organe sowie für das Stützen des unteren Bauches (Schwangerschaft, Geburt), festzuhalten und verschließen. Andererseits muss er sich öffnen und loslassen bei der täglichen Ausscheidung von Urin/Stuhl und bei der Geburt. Er hilft, den optimalen Druck im Bauchraum zu halten (intraabdominaler Druck) und erfüllt wichtige Funktionen in der Sexualität (Orgasmus). Wenn der Beckenboden außer Balance ist, kann auch alles darüber und darunter aus dem Gleichgewicht sein.
Daniel:
Es ist wirklich beeindruckend, wie viele Funktionen der Beckenboden übernimmt und wie sehr er unser Wohlbefinden beeinflusst. Oft wird jedoch erst gehandelt, wenn bereits Beschwerden auftreten. Deshalb würde ich gerne wissen: Woran spürt man, dass der Beckenboden aus der Balance geraten ist und ab wann ist es ratsam, etwas dagegen zu tun?
Pia:
Es gibt einige Zeichen dafür, dass der Beckenboden nicht im Gleichgewicht ist und eine Beckenbodenschwäche auftritt. Zunächst ist es wichtig, zu wissen, dass dies nicht immer an einem zu kraftlosen und schwachen Muskel liegt, sondern auch ein zu kräftiger Muskel mit zu hohem Tonus eine Beckenbodenschwäche auslösen kann.
Formen von Inkontinenz sind wohl die häufigste Art von Beckenbodenschwäche, also ein ungewollter Urin- oder Stuhlverlust. Eine Dysfunktionen des Beckenbodens kann sich auch durch eine Senkung der Beckenorgane (Darm, Gebärmutter, Blase) bemerkbar machen. Man spürt in diesen Fällen oft eine Art Frendkörpergfühl in der Vagina. Eine Instabilität des Rumpfes, Becken- und Rückenschmerzen, vorgewölbter Unterbauch, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr und Verstopfung können ebenso auf eine Beckenbodenschwäche hindeuten.
Daniel:
Das sind ja wirklich viele Symptome, die auf eine Beckenbodenschwäche hinweisen können. Aber wodurch wird sie denn eigentlich ausgelöst? Gibt es bestimmte Lebenssituationen, Veranlagungen oder Gewohnheiten, die sich besonders negativ auf den Beckenboden auswirken?
Pia:
Ja, es gibt viele Faktoren, die die Beckenbodengesundheit beeinflussen können. Besonders bekannt sind Probleme, die während der Schwangerschaft, nach Geburten und im Alter auftreten, da die hormonelle Umstellung das Faszien- und Muskelgewebe beeinträchtigt und es im Laufe der Zeit weniger elastisch wird. Beckenbodenbeschwerden treten auch häufiger nach Operationen im Becken- und Bauchbereich auf, da die Eingriffe selbst sowie das entstandene Narbengewebe den Zugang zum Beckenboden erschweren können.
Zudem wird zunehmend bekannt, dass viele Leistungssportler*innen unter Beckenbodenschwäche leiden, da die ständige hohe Belastung diesen Bereich des Körpers stark beansprucht. Auch eine dauerhaft schlechte Körperhaltung (z. B. viel Sitzen, Beine übereinanderschlagen, seitliches Stehen), mangelnde Bewegung im Alltag, Übergewicht sowie ungünstige Toilettengewohnheiten (z. B. langes Sitzen, starkes Pressen) können die Beckenbodengesundheit negativ beeinflussen.
Neben körperlichen Ursachen können auch emotionale Ungleichgewichte den Beckenboden beeinträchtigen, insbesondere im Zusammenhang mit dem Wurzelchakra. Dazu zählen Ängste, Schwierigkeiten im Vertrauen, das Gefühl der Entfremdung vom eigenen Körper, Selbstzweifel, Unsicherheiten, Orientierungslosigkeit, Geiz und Probleme mit dem Loslassen.
Daniel:
Sehr interessant! Da stellt man sich natürlich die Frage: Was kann man aktiv tun, um den Beckenboden zu stärken und Beschwerden zu lindern? Welche Maßnahmen oder Übungen empfiehlst du besonders?
Pia:
Um den Beckenboden zu stärken und in Balance zu bringen sowie das Gewebe elastischer zu machen, gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten. Viele denken vermutlich sofort an Kegelübungen (wie das bewusste Anspannen und Entspannen des Beckenbodens), wenn sie an Beckenbodentraining denken. Allerdings gibt es weit mehr, was man tun kann, als nur diese gezielte Kontraktion und Entspannung.
Bevor man tiefer in das Training einsteigt, halte ich es für essenziell, den eigenen Beckenboden besser zu verstehen. Welche Beschwerden treten auf? Gibt es bestimmte Symptome? Ist der Beckenboden vielleicht übermäßig angespannt oder eher schwach? Liegt eine Senkung vor? Wie ist das Bindegewebe beschaffen – eher weich und elastisch oder fester und steifer? Auch Stress kann eine Rolle spielen.
Da eine Beckenbodenschwäche häufig mit einer erhöhten Spannung des Beckenbodens zusammenhängt (fast 50 % der Fälle), ist es zunächst wichtig, den Fokus auf Entspannung zu legen. Das Nervensystem sollte in den "rest & digest"-Modus versetzt werden. Übungen aus dem Yin Yoga, Restorative Yoga und Atemübungen sind dabei äußerst hilfreich.
Ist diese Basis geschaffen, fällt es oft leichter, eine Verbindung zum Beckenboden aufzubauen. Jetzt kann das Training der ausdauernden und schnellkräftigen Muskelfasern sowie der Faszien beginnen – immer mit regelmäßigen Pausen.
Anschließend werden auch die umliegenden Körperbereiche miteinbezogen, insbesondere die Rumpfmuskulatur (Core). Der Beckenboden ist ein zentraler Bestandteil des Cores und spielt eine wichtige Rolle für die Stabilität der Körpermitte. Auch die Hüftbeuger und Gesäßmuskeln sind in diesem Zusammenhang bedeutend. Im Training berücksichtigen wir zudem wichtige Faszienketten, die mit dem Beckenboden verbunden sind.
Neben dem Training auf der Matte ist es ebenso wichtig, den Beckenboden im Alltag zu schonen. Dazu gehört, beckenbodenfreundliche Bewegungen und Routinen zu etablieren. Wir betrachten etwa die Atmung und die Körperhaltung im Alltag und integrieren beckenbodenschonende Bewegungsabläufe. Ein weiteres Beispiel: Ich empfehle die Verwendung eines Toilettenhockers, um den Druck auf den Beckenboden zu minimieren, da Pressen und langes Sitzen schädlich für das Beckenbodengewebe sind.
Daniel:
Pia, du hast die Bedeutung einer beckenbodenschonenden Haltung im Alltag angesprochen. Inwiefern kann die Verwendung eines Toilettenhockers die Beckenbodengesundheit beeinflussen? Siehst du darin grundsätzlich eher eine vorbeugende Maßnahme oder auch eine Möglichkeit, akute Beschwerden zu lindern?
Pia:
Die Verwendung eines Toilettenhockers entlastet den Beckenboden ungemein, da durch die Hockposition der Knick im Darm verschwindet und dadurch eine leichtere Darmentleerung ohne Druck ermöglicht wird. Besonders bei Neigung zur Verstopfung ist der Klohocker eine ausgezeichnete Möglichkeit, den Beckenboden zu schonen. Sollten bereits Beschwerden vorhanden sein, ist es umso wichtiger, den Beckenboden nicht noch mehr zu belasten. Bei Problemen wie Organsenkungen, Hämorrhoiden oder nach Geburten und Operationen kann ein WC-Hocker die tägliche Ausscheidung erleichtern und akute Beschwerden lindern.
Ich bin der Meinung, dass ein Toilettenhocker in jedem Badezimmer vorhanden sein sollte, da er den Prozess so viel angenehmer und einfacher macht.
Daniel:
Hast du abschließend noch weitere Toilettentipps für einen gesunden Beckenboden? Ich hab mal gehört, dass man den Beckenboden beim Wasserlassen auch trainieren kann, indem man den Urinstrahl anhält?
Pia:
Guter Punkt! Das Anhalten des Urinstrahls ist meiner Meinung nach sogar schädlich für eine gesunde Beckenbodenfunktion, da es dem Gehirn das falsche Signal gibt: Der Beckenboden soll schließen, obwohl er eigentlich auf Loslassen eingestellt ist. Das kann eher wieder Beschwerden hervorrufen. Daher sollte das Beckenbodentraining besser auf der Matte stattfinden. Meine Tipps für eine beckenbodenschonende Toilettenroutine sind: Lass es fließen (ohne Druck, auch wenn es schnell gehen muss), immer hinsetzen (auch unterwegs, Desinfektionsmittel hilft), nur so lange wie nötig verweilen und nicht vorsorglich urinieren – das verwirrt das Gehirn nur.
Daniel:
Vielen Dank, Pia, für die wertvollen Einblicke in die Beckenbodengesundheit und die praktischen Tipps und Übungen für den Beckenboden. Es war wirklich spannend zu erfahren, wie wichtig eine ganzheitliche Betrachtung unseres Beckenbodens ist und wie schon kleine Anpassungen im Alltag unsere Lebensqualität verbessern können. Ich wünsche Dir weiterhin alles Gute und freue mich, dass wir in engem Kontakt bleiben werden.